UNI Post & Logistics - global union

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Dezember 2007: Artikel zum Postmindestlohn

Deutschland hat ein Problem: Der unfähige Wirtschaftsminister Glos
Ein politisches Trauerspiel in 6 Akten

von Rolf Büttner, Präsident UNI Postal & Logistics Europa
Mit der Liberalisierung des Briefmarktes sollte in Deutschland ein Wettbewerb um die besten Produkte und Dienstleistungen und nicht um die niedrigsten Löhne entstehen. Um den Übergang vom Monopol zum Wettbewerb sozial zu flankieren und eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der im Briefsektor Beschäftigten im Zuge der Liberalisierung zu vermeiden, wurde in das Postgesetz eine Sozialklausel eingefügt. Danach erhalten neue Briefdienstleister nur dann die erforderliche Lizenz, wenn deren Arbeitsbedingungen nicht erheblich unter dem branchenüblichen Niveau liegen. Den Maßstab hierfür bilden die Arbeitsbedingungen der Deutschen Post AG, wo noch heute drei Viertel der Arbeitnehmer der Briefbranche beschäftigt sind. Mehr als 2.300 Lizenzanträge wurden seit der schrittweisen Marktöffnung im Jahr 1998 gestellt, kein einziger Lizenzantrag wurde wegen eines Verstoßes gegen die Sozialklausel des Postgesetzes abgelehnt, keine Lizenz wurde einem neuen Anbieter aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen nachträglich entzogen. Es ist also alles in Butter, könnte man meinen: Die Lizenznehmer bieten ordentliche Arbeitsbedingungen, die Bundesnetzagentur hat keinen Anlass zum handeln. Aber weit gefehlt! Bereits vor mehr als einem Jahr hat ver.di mehrfach auf die Bezahlung von Hungerlöhnen bei den neuen Briefdiensten hingewiesen. Dabei handelt es sich nicht um Einzelfälle, wie eine Studie der Stuttgarter Beratungsgesellschaft Input Consulting belegt. Die neuen Briefdienstleister betreiben Lohndumping als Geschäftsmodell und verschaffen sich mit Niedrigstlöhnen von teilweise unter 5 Euro pro Stunde unlautere Wettbewerbsvorteile gegenüber der Deutschen Post AG, wo Briefträger im Durchschnitt fast das dreifache verdienen. Als ver.di gegen diese offensichtlichen Missstände in der Briefbranche protestierte und mit Hinweis auf die Sozialklausel des Postgesetzes die politisch Verantwortlichen zum Handeln aufforderte, begann ein groteskes politisches Trauerspiel. In der Hauptrolle: Bundeswirtschaftsminister Michael Glos.




1. Akt: Wie ein Bundeswirtschaftsminister Recht und Gesetz ignoriert

Die Sozialklausel im Postgesetz gibt der Regulierungsbehörde den klaren Auftrag, neuen Anbietern die Lizenz zu verweigern, wenn diese sich mit Dumpinglöhnen Wettbewerbsvorteile zu verschaffen versuchen. Trotz der skandalösen Entwicklung bei den Arbeitsbedingungen der Lizenznehmer sieht die Bundesnetzagentur aber keinen Grund zum Einschreiten. Gedeckt durch den politisch verantwortlichen Wirtschaftsminister Glos, findet die Sozialklausel in der Praxis keine Anwendung. Das Bundesarbeitsministerium hat angesichts dieses rechtswidrigen Verhaltens, die Bundesnetzagentur aufgefordert, die Sozialklausel im Sinne des Gesetzgebers anzuwenden und denjenigen Antragstellern die Lizenz verweigern, deren Löhne und Gehälter mehr als 10 Prozent unterhalb des branchenüblichen Einstiegsgehalts bei der Deutschen Post AG liegen. Bereits erteilte Lizenzen an solche Anbieter müssen von der Bundesnetzagentur widerrufen werden. Doch der zuständige Wirtschaftsminister Glos weigert sich weiterhin beständig, für eine rechtmäßige Anwendung der Sozialklausel durch die Bundesnetzagentur zu sorgen. Er setzt sich als Wirtschaftsminister damit über eine gesetzliche Regelung hinweg, die er selbst vor zehn Jahren im Bundestag mitbeschlossen hat. Die vollziehende Gewalt ist an Recht und Gesetz gebunden – so steht es in Artikel 20 des Grundgesetzes. Doch Michael Glos schert das alles nicht. Gesetze, die ihm nicht in seinen neoliberalen Kram passen, werden von ihm als Wirtschaftsminister einfach nicht umgesetzt.


2. Akt: Wie der Bundeswirtschaftsminister bei der Durchsetzung des europäischen Gleichklangs in der Postliberalisierung versagt

Der vielfach geforderte Gleichklang in der europäischen Postpolitik ist nach wie vor mehr Postulat denn Realität. Eine vergleichende Untersuchung der Input Consulting GmbH über die Regulierungsvorgaben der EU-Länder im Postsektor zeigt, dass in Deutschland bis dato in der Praxis die geringsten Anforderungen beim Marktzutritt neuer Anbieter gelten. Gleichzeitig wird die Regulierung des Universaldienstanbieters bei Preisen sowie Umfang und Qualität des Universaldienstes nirgendwo so rigide vorgenommen, wie in Deutschland. Die Studie belegt, dass über Regulierungsvorgaben die anderen EU-Länder ihre Märkte großteils abgeschottet haben. In Finnland beispielsweise, wo der Postmarkt bereits 1994 vollständig geöffnet wurde, gibt es keine neuen Briefdienstleister, weil diesen zur Auflage gemacht wird, nicht nur städtische Ballungszentren, sondern auch ländliche Regionen zu bedienen – was in einem dünn besiedelten Land mit hohen Kosten verbunden ist. Statt die Harmonisierung verschiedener Regulierungsvorgaben beim Marktzutritt, bei der Preisgestaltung sowie beim Universaldienst und seiner nachhaltigen Finanzierung zu betreiben – was ja Aufgabe eines Wirtschaftsministers wäre – glänzt das Bundeswirtschaftsministerium durch Nichtstun. Die politische Verantwortung hat einen Namen: Michael Glos.


3. Akt: Wie der Bundeswirtschaftsminister nationale Interessen auf dem Altar marktradikaler Ideologie opfert

Im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 sollte das Problem der Briefmarktliberalisierung in der EU gelöst werden. Die deutsche Bundesregierung wollte als Vorreiter der Postliberalisierung eine vollständige Öffnung der Briefmärkte in der EU zum 1.1.2009 erreichen. Doch Glos verkennt dabei die politische Wirklichkeit in den EU-Mitgliedstaaten und im Europäischen Parlament, wo aufgrund der negativen Erfahrungen in Deutschland eine Debatte um die sozialen Folgen der Marktöffnung entbrennt. Die Ministerkollegen verweigern dem deutschen Liberalisierungsprotagonisten die Gefolgschaft, das Ziel einer baldigen Liberalisierung der Briefmärkte in der EU scheitert. Kurz nach Ende der deutschen Ratspräsidentschaft beschließt das EU-Parlament eine Verschiebung der Liberalisierung auf 2011, eine Reihe von Ländern wird sogar eine Übergangsfrist bis 2013 eingeräumt. Was Michael Glos nicht hinbekommt, richtet nun die portugiesische Ratspräsidentschaft. Auf einmal geht es: Im neuen Richtlinienentwurf sind eine Reihe sozialer Komponenten enthalten, u.a. dürfen die Mitgliedstaaten Sozialklauseln bei der Lizenzierung neuer Anbieter zum Einsatz bringen. Man dürfe zwar Vorreiter sein, aber nicht blöd, warnten danach einige SPD-Politiker und forderten Minister Glos und den Koalitionspartner auf, den Briefmarkt in Deutschland im Gleichklang mit den europäischen Nachbarn ebenfalls erst zum 1.1.2011 zu öffnen. Nur so können Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU verhindert werden. Doch Minister Glos und Kanzlerin Merkel fahren unbeirrt ihren neoliberalen Kurs weiter. Die Marktöffnung in Deutschland wird trotz der veränderten Situation in Europa im Alleingang zum 1.1.2008 umgesetzt. Während künftig ausländische Postunternehmen der Deutschen Post im größten Briefmarkt Europas Konkurrenz machen können, bleibt deutschen Unternehmen der uneingeschränkte Zugang zu den Briefmärkten in den anderen EU-Ländern bis 2011 verwehrt. Selbst die Niederlande wollen ihren Markt erst später öffnen. Sieht so eine intelligente Industriepolitik aus? Werden so die nationalen Interessen Deutschlands gewahrt? Michael Glos schert das alles nicht. Kluge Wirtschaftspolitik ist nicht sein Ding, ihm geht es um die Durchsetzung marktradikaler Prinzipien.


4. Akt: Wie der Bundeswirtschaftsminister zum Chef-Lobbyisten eines Lohndumping-Kartells wird

Die große Koalition hat sich im August 2007 auf einen Kompromiss bei der Postliberalisierung geeinigt: Wir öffnen den Markt zum 1.1.2008, aber wir verhindern Lohndumping durch einen branchenspezifischen Mindestlohn. Beschlossen auf der Kabinettsklausur in Meseberg, soll die Briefdienstleistungsbranche in das Arbeitgeberentsendegesetz aufgenommen und somit die Voraussetzung für einen Mindestlohn geschaffen werden. Als ver.di mit dem Arbeitgeberverband Postdienste einen Mindestlohntarifvertrag vereinbart und den Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung gestellt hatte, sahen die neuen Briefdienstleister ihr „Geschäftsmodell Lohndumping“ in Gefahr. Während Michael Glos noch am Kabinettstisch für einen Post-Mindestlohn gestimmt hatte, versuchte er als Wirtschaftsminister diesen nun zu Fall zu bringen. Seine Komplizen: PIN, TNT und Co. und der Gerster-Arbeitgeberverband, die alsbald ins Wirtschaftsministerium geladen werden, um den gemeinsamen Coup auszuhecken. Glos wird zum Chef-Lobbyist der in Luxemburg ansässigen PIN Group und des niederländischen Postkonzerns TNT, die mit Hungerlöhnen weiterhin in Dumpingkonkurrenz zur Post treten wollten. Tausende von Arbeitsplätze seien bei den neuen Briefdiensten in Gefahr, so die Warnung von Bundeswirtschaftslobbyist Glos, wenn diese den Mindestlohn bezahlen müssten. Dass bei weiterem Lohndumping rund 30.000 tarifvertraglich abgesicherte Arbeitsplätze bei der Post auf dem Spiel stehen und mit dem Geschäftsmodell der Lizenznehmer eine ganze Branche in einen Niedriglohnsektor abzudriften droht - das alles schert Michael Glos nicht. Ihm geht es darum, das Geschäftsmodell Lohndumping in Deutschland salonfähig zu machen.

81 Prozent der Deutschen sind für den vereinbarten Post-Mindestlohn, 84 Prozent der Abgeordneten haben im Bundestag für den Post-Mindestlohn gestimmt, aber Glos kämpft weiter für Hungerlöhne im Briefmarkt. Ein dubioser Tarifvertrag den der Gerster-Arbeitgeberverband mit einer gefügigen Scheingewerkschaft abgeschlossen hat und PIN, TNT und Co. das Lohndumping-Geschäftsmodell weiter sichern soll, will der Bundeswirtschaftsminister „wohlwollend prüfen“. Aber sein Wirtschaftsministerium ist dafür glücklicherweise nicht zuständig. Und bereits vor Inkrafttreten des Mindestlohns spielen die Glos-Komplizen ein schmutziges Spiel: Axel-Springer-Chef Döpfner will die Politik mit der angedrohten Insolvenz seiner Brieftochter PIN erpressen und TNT kündigt an, sich über Recht und Gesetz hinwegzusetzen und den Mindestlohn nicht zahlen zu wollen. Deutschland auf dem Weg in die Bananenpolitik? Auch das alles schert Michael Glos als Lohndumping-Verfechter nicht. Er macht mit Unternehmen gemeinsame Sache, die wie Recht und Gesetz ignorieren und auf Kosten der Arbeitnehmer ihr Geschäft machen wollen.


5. Akt: Wie der Bundeswirtschaftsminister durch die Hintertür die Postversorgung der Bürger verschlechtern will

Die Politik schreit Verrat, sobald Poststellen geschlossen und Briefkästen abgehängt werden. In der Logik des Systems von Aktiengesellschaften liegt es, Gewinne für die Aktionäre zu erwirtschaften. Wenn Politiker einen guten, flächendeckenden Post-Universaldienst wollen, müssen sie sagen, wer ihn finanziert. Die Aktionäre wolle dafür jedenfalls nicht auf ihre Dividenden verzichten. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder der Universaldienst wird eingeschränkt – dort wo es sich nicht lohnt, gibt es weniger Poststellen und Briefkästen. Insbesondere in ländlichen Bereichen könnte zudem die tägliche Zustellung von Montag bis Samstag eingeschränkt werden. In der Politikersprache heißt dies das Universaldienst-Light. Oder es wird ein Ausgleich für die Universaldienstkosten geschaffen, indem Universaldienstleistungen – also gewöhnliche Brief- und Paketsendungen sowie Einschreibe- und Wertsendungen – von der Mehrwertsteuer befreit werden, wie das in den meisten EU-Mitgliedstaaten üblich ist. Nachdem die neuen Wettbewerber noch vor einem halben Jahr vollmundig angekündigt haben, dass sie flächendeckend für eine Postversorgung in Deutschland sorgen wollen, sind diese von diesem Vorhaben längst wieder abgerückt. Das Angebot von flächendeckende Universaldienstleistungen sei nicht rentabel und finanzierbar, hat unlängst TNT Post Deutschland verkündet. Wer aber aber nun, wie Michael Glos, die Mehrwertsteuerbefreiung für Universaldienstleistungen als ein ungerechtfertigtes Privileg der Deutschen Post bezeichnet, der gefährdet letztlich den Universaldienst und damit die postalische Versorgung der Bevölkerung. Diesen Zusammenhang verschweigt Michael Glos. Gut, dass Finanzminister Peer Steinbrück aufpasst und als Verteidiger der Bürgerinteressen in dieses dubiose Spiel grätscht.


6. Akt: Deutschland hat ein Problem: Michael Glos

Die deutsche Bevölkerung – das zeigen alle Umfragen – wollen einen guten, funktionierenden Postdienst. Wie alle anderen Bürger Europas auch. Ein Blick auf die deutsche Postpolitik zeigt: Es gibt ein Problem in Kompetenz und Fähigkeiten: Michael Glos und seine neoliberale Gefolgschaft im Wirtschaftsministerium.

(Dezember 2007)


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